Gedanken zum Ende des Weges
El camino, eine Touri-Route?

Ja, wenn ich an die Pilger auf der letzten 100km-Etappe denke: Radfahrer, Hobbypilger in weißen Turnschuhen mit leichtem Gepäck, mehr Partystimmung, viele Spanier und Franzosen.
Ihnen entgeht Wesentliches.

Ja, wenn ich an die Pilger denke, die sich mit dem Bus in die Nähe der touristischen Ziele der Pilgerroute fahren lassen, um dann einige Kilometer in leichtem Gepäck oder gar im vollen Outfit zu pilgern.
Ihnen entgeht Wesentliches.

Ja, wenn ich an die sportlichen Pilger denke, die den camino in rekordverdächtiger Zeit und dann über Santiago hinaus verlängern wollen, Turbopilger.
Ihnen entgeht Wesentliches.

Ja, wenn ich an die ernsthaften Pilger denke, die sich dennoch bei Schwierigkeiten (Wetter, Wegführung, Schmerzen, Hygiene) von der Originalpilgerroute lösen und ihren Vorteil in abgemilderten Wegführungen oder alternativen Transportmitteln suchen oder auch auf die Übernachtung in den Pilgerherbergen verzichten. Ich darf hier auf Hape verweisen.
Ihnen entgeht Wesentliches.

Jedoch, diese Pilger befinden sich in der absoluten Minderzahl. Daher folgt auf die Eingangsfrage ein großes Nein. Die weitaus meisten Pilger sind mit großem Ernst auf dem Weg, um die Pilgerroute wie Millionen vor ihnen auf den originalen Pfaden, Wegen und Strassen unter entbehrenden Verhältnissen zu laufen. Ich darf mich zu den letzteren zählen, weil ich das große Glück hatte, dass mein Körper die Strapazen und Entbehrungen tolerierte. Trotz starker Schmerzen in den Schultern, Füssen und Muskeln, trotz arg strapazierter Gesundheit mit Durchfall, Bronchitis und Verletzungen, trotz des üblen Gegenspielers Wetter, trotz der unzureichenden hygienischen Verhältnisse erholte sich mein Körper nachts auf wunderbare Weise komplett und war morgens wieder fit und bereit für den nächsten Pilgertag. Das Bewältigen des heutigen Tages wurde zum zentralen Denken und Handeln, zum Job.

Was ist nun das Wesentliche, was den oben beschriebenen ersten Pilgergruppen entging?

Die treibende Kraft, die Macht, die uns auf den camino zwingt und die Entbehrungen erträglich macht, die spüre ich, wenn ich mich den Strapazen, der Mühe unterwerfe, die körperlichen Beschwerden toleriere, mich von ihnen distanziere, löse und in mein Inneres eindringe. Erst die Mühsal des Weges macht dieses möglich. Nicht sofort, es dauert Tage, bis der körperliche Weg zu einem mentalen und dann zu einem spirituellen wird. Unterstützt wird dieser Prozess durch die ernsthaften Gesprächen mit den Copilgern aus aller Welt; entweder auf dem Weg oder abends in der Albergue peregrino und in den Abendandachten und Pilgermessen. Und so fühlte ich trotz der Mühsal, den Entbehrungen eine tiefe Dankbarkeit und durchlebte viele emotionale Phasen und Ebenen. Gott ist allgegenwärtig.

Auf welcher Ebene ich mich am Ende des Weges befunden habe, wie tief ich eingetaucht war in die Abkehr vom Körperlichen, das habe ich erst bemerkt, als ich nach hause in die Realität, den weltlichen Alltag zurückgekehrt bin. Es hat Tage der Rückbesinnung benötigt, um aus mir einen passablen kommunikativen Mitmenschen zu machen.

Buen camino!

Weitere Einzelheiten gern im persönlichen Gespräch.

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