2012, Dez. Von Ushuaia bis Colonia/Uruguay

POTR 10
Die Reise durch die Antarktis war von derartiger Erhabenheit, dass ich lange dazu gebraucht habe, um mich zu diesem Folgebericht aufzuraffen. Dabei sind die gängigen touristischen Ziele im Süden Südamerikas von solch immenser Schönheit und Kraft, dass allein sie eine Reise an das Ende der Welt allemal rechtfertigen: die unbändige Schönheit des Nationalparks Feuerland, die Reise hinauf durch Chile nach Punta Arenas entlang der Magellanenge mit Traumaussichten an der Ausbuchtung Inútil; Puerto Natales als Ausgangspunkt für Wanderungen rund um die grandiosen Torres del Paine; zurück in Argentinien führt die Ruta 40 nach El Calafate, dem zentralen Ort für Touren zum Wahnsinnsgletscher Perito Moreno und nach El Chaltén, um dort erneut Wanderleidenschaften zu wecken; und immer wieder stosse ich auf die legendäre Ruta 40, die angeblich 5.000 Kilometer lange Piste und Strasse ohne Ampeln; und erlebe Patagonien, das trostlose, riesige, windige Patagonien, das viele Schriftsteller angeregt hat und den Bäumen die Windrichtung aufzwingt. Jeder, der dieses Stück Südamerika bereist, ist fasziniert, und ich kenne niemanden, den es nicht begeistert hätte. Aber ich finde auch niemanden, der hier auf Dauer leben möchte.

Baedeker, Dumont, Know How oder Lonley Planent und ein Heer von Erlebnisschreibern haben das grandiose Südamerika mit seinen highlights wunderbar dokumentiert und beschrieben. Ich möchte von zwei oder drei Begebenheiten berichten. Aus Feuerland.

POTR 10.1
Feuerland, el fin del mundo, Phantasien weckend. Wer es bis hierher geschafft hat, der ist angekommen. Aber ist der wirklich da, am Ende der Welt??? Über den in seiner Erlebnistiefe kaum zu übertreffenden Antarktistrip habe ich ja schon berichtet. Aber auch auf dem Landweg lockt am Ende der Welt so manche Aufregung: westlich von Ushuaia der Nationalpark Feuerland mit seinen costañeras und den Riesenwäldern mit dem Nothofagus antarctica, der Scheinbuche und den klaren Seen und den tollen Aussichten auf den Beagle Kanal. Irgendwann jedoch mag ich nicht mehr wandern und wandern. Und jetzt? Zurück? Einfach zurück? War es das, Ushuaia, ist die grosse Sehnsucht schon erfüllt?—Da gibt es eine Strasse, sagt Heinz, die Piste zur Estancia Haberton. Aber dort ist noch nicht Schluss, flüstert er, mit einem off-roader kann man noch weiter fahren, immer entlang des Beagle Kanals nach Osten bis …. Die Neugier ist geweckt: über die Piste Nr. 1 bzw. J fahre ich bis zur Estancia Haberton, die der Missionar Thomas Bridge Ende des 19. Jahrhundert gründete und auf der heute die derzeit schwere Arbeit des Beginns der Schafzucht und Holzverarbeitung eindrucksvoll demonstriert wird. Tags drauf geht es mutig weiter, allein, entlang des Beagles über Schotter, Felsen, Sand, bergauf, bergab, Schlaglöcher, Einbrüche, quer liegende Bäume- hier und da mal 200 – 300 Meter Erholung auf ebener Sandstrecke- das Pistenfahrerherz ist ambivalent: Neugier und Besorgnis halten sich die Waage. Sturm macht das Vorankommen nicht leichter. Ich erreiche die Estancia Moat, tot, bis auf den Verwalter: da treffe ich in aller tiefster Einsamkeit auf einen wildfremden Menschen und wir beiden können uns verständigen. Der Deutsche und der fast am Ende der Welt lebende Feuerländer, der niemals seinen näheren Umkreis verlassen hat, wir können kommunizieren. Da wird die gemeinsame Sprache zu einem Riesenerlebnis.
Die letzten Kilometer zum allerletzten Gebäude an dieser Piste auf Feuerland, der Polizeistation Moat hoch oben am Berg mit Ausblick auf den chilenischen Feind, verlangt dem Iglhaut noch mal alles ab: er überwindet einen Bergrutsch: sehr eng, bergseits Geröll, talwärts notdürftig reparierter Abbruch. Die beiden Polizisten begrüssen mich freundlich, aber ich sehe ihrer Mimik an: was will der bloss hier? Ich erkläre ihnen nicht, dass es Carmen Rohrbach ist, die von solch einer Station weiter ostwärts gewandert und geritten ist in die totale Einsamkeit bis ans wirkliche Ende von Feuerland, dass mich ein solcher Zwischen-Endpunkt begeistert. Sie schicken mich wegen des Sturms zurück in eine kleine windgeschützte Flussmündung. Wenn ich hier von Sturm spreche, ist es das Windchen, das die Bäume entlang der Erdkrume wachsen lässt und mein PM gewiss ein paar Meter quer versetzt hätte. Die Nacht verlief dann ruhig.

POTR 10.2
Der Rückweg: zunächst entdecke ich ein uraltes Seefahrtzeichen, an dessen Einfassung sich Festmacher für Boote finden, die gewiss dem Holztransport dienten. Hier lässt sich ermessen, in welcher Einsamkeit und Duldsamkeit die Menschen bei extremen Umweltverhältnissen Feuerland missioniert und für sich lebbar gemacht haben.

Weiter westwärts treffe ich auf Hans und Kati aus Heilbronn, die haben den Sturm mehr im Landesinneren abgewettert. Hans, der Schwabe, schleicht um das PM und meldet freudestrahlend: am linken Hinterrad, da fehlen 2 Schrauben! Tatsächlich, da hat die Piste einen echt starken Tribut verlangt: die Köpfe zweier von sechs Bolzen sind abgebrochen. Ich fahre ängstlich die 35 Kilometer Piste (s.o.) zurück bis zur Asphaltstrasse Nr. 3 und dann weitere 35 Kilometer retour nach Ushuaia immer voller Besorgnis über das mögliche Ausmass der Schäden, sollte das Rad wirklich weg brechen. Bis zum Ziel haben sich dann zwei weitere Bolzen gelöst- mein ganzes Glück oder Unglück hing an der Stabilität der restlichen 2 Schrauben. Meint einer: man kann auch mit einer Schraube fahren …. Mercedes Ushuaia kann mir helfen.
Danke, Hans! Denn vor mir lagen ja noch viele Pistenkilometer durch Patagoniens Einsamkeit ohne jeglichen Service weit und breit. Was wäre wenn… Gedankenspiele.

POTR 10.3
Leben auf der Strasse. Es sind diese unerwarteten nickeligen Kleinigkeiten, die nicht eintreten oder eben doch, die mich voran kommen lassen oder bremsen, die mich frohlocken oder traurig sein lassen, die Sehnsüchte erfüllen lassen aber gelegentlich zu welchem Preis. Das Leben auf der Strasse ist kein Urlaub, es ist ein Job, manchmal ein harter. Ich habe geträumt von dieser Reise, habe sie in die Tat umgesetzt, bin hinein gewachsen in dieses Leben und liebe es. Mit allem Drum und Dran.

Ushuaia ist nun der rechte Ort, und es ist auch der rechte Zeitpunkt, folgenden Gedanken reifen zu lassen:
Ich habe einen Wahnsinnstrip hinter mir und ich bin mehr als dankbar für alles Erlebte. Mein Herz wird aber auch warm, wenn ich nach vorn schaue, meine Gedanken nicht einenge und hier unten, al fin del mundo, nach nahezu fünf Jahren on the road, unterbrochen von einigen Heimaturlauben und schliessendlich mit über 175.000 gefahrenen Strassenkilometern, asfalto y pista, wenn ich also weiter denke und beschliesse: terminado, ich fahre heim.
Ok, pero lentemente, langsam Peter! Nach hause, ja, aber nicht schnurstracks. Denn hier unten und auch weiter oben gibt es ja noch so einiges zu sehen. Was fragt Günther: wie mäandrierst Du nach hause?

Siehe Fotos: Ushuaia bis Buenos Aires.

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