Südwestbrasilien, Bolivien, 31.10.2011

Südamerika in drei Wochen oder vier, mal so eben mitnehmen, so nebenher- das geht nicht. Allein das kleine Bolivien ist so gross wie Frankreich und Spanien zusammen. Und wenn es heisst: 440km Piste, dann heisst das Maximalbelastung für Mensch und Material. Wellblechpiste, Schotter, Naturfels, steile Auf- und Abfahrten, Abbrüche, Schlaglöcher, steile ungesicherte Abhänge mal links, mal rechts, enge wackelige Holzbrücken. Da geht kein Tempomat, da gilt allerhöchste Aufmerksamkeit, Stunde um Stunde, und das bei einem Schnitt von 24km/h. 440 lange, einzeln gezählte Kilometer. Terra nennen die das hier. Irgendwann kommt asfalto. Himmlisch, beruhigend, warum nicht gleich so? Weil der Bürgermeister das Geld für die Strassensanierung nicht in den asfalto sondern in seinen Hausbau gesteckt hat. Und so geht es vom Tal zum Pass zum Tal zum Pass …. bis hoch zum Altiplano, das sich so zwischen 3.500 und 4.200m Höhe einpendelt und den Gequälten mit traumhaften Aussichten und Klima belohnt.

Terminado, der Sprinter bleibt stehen, auf 4.200 m Höhe. Um mich herum Lehmhütten, Menschen mit Hüten und eingebauten Wollohrenschützern; sie treiben die Lamas vor sich her und scheinen sich in dieser traumhaft schönen Bergwelt sehr wohl zu fühlen. All das entspannt und lässt den Gau ein ganz klein wenig weniger Gau sein. Ein Überlandbus, ein Erlebnis für sich, fährt mich zurück zur letzten Mautstelle, meine Hoffnung auf Wifi, egal wie ich es ausspreche, wird leider nicht erfüllt. Dafür ist Polizei bei entsprechender Gegenleistung – sprich Boliviano- hilfreich, der nach Stunden anrollende Abschlepper ein Ungetüm. Ich weiss nicht wie, aber ich lande nicht bei einem Igendwermechaniker sondern in einer top modernen BOSCH autoclinic in Cochabamba – der Vater des Inhabers ist Chirurg, daher autoclinic – und die nehmen sich locker zwei Wochen Zeit, meine Kraftstoffanlage inklusive Tank auseinanderzunehmen und zu reinigen. Ich wusste nicht, dass der bolivianische Diesel der dreckigste ist in ganz Südamerika und dass der 80 Literschluck aus der Privatschatulle eines Hinterhofffasses (Tankstelle: no hay diesel, mañana) dem sensiblen Sprinter den Rest geben würde. Alles verdreckt und dicht: Tank, Kraftstoffpumpe, Einspritzdüsen, Partikelfilter. Cochabamba, zwei Wochen Zwangspause in der wunderschönen Dauerfrühlingsstadt in 2.500 m Höhe so um die 28 Grad, super! Wenn ich an das Engardin denke, da schwärmen die in einer Höhe von mageren 1.800 Metern von Champagnerluft. Hier erlebe ich Entspannung pur, zumal auf diesem für Camperverhältnisse äusserst komfortablen Stellplatz der BOSCH autoclinic mit Strom, Wasser und Wifi und einem deutsch sprechenden Chef und sehr sehr freundlichen Menschen um mich herum.

Ja, Südamerika. Jeder Tag, den ich bisher hier unten verbracht habe, ist ein Abenteuer, jeder. Aber Abenteuer haben so ihre Eigenarten. Sie fordern. Sie fordern Einsatz, Kraft, Mut, Durchhaltevermögen, Planung und die Akzeptanz der Änderung der Pläne, sich Einfinden und Zufriedensein mit dem täglich Gebotenen, Erreichten und den Geschehnissen. Dafür bietet das Ungewohnte und Strapaziöse Zufriedenheit, sogar Glück. Ganz einfach Glück. Und in Cochabamba eine Champagnerluft vom Feinsten.

Zurück. Wo endete mein letzter Bericht? In Iguazu. Nach dem Helicopterflug über die Cataratras del Iguacu geh ich nicht wie eigentlich vorgesehen über die Verbrechstadt Ciudad del este nach Paraguay sondern bleibe, wo ich schon mal in Brasilien eingecheckt habe, hier, besichtige das binationale Superwasserkraftwerk Itaipu und fahre durch das landschaftlich eigentlich langweilige Südwestbrasilien weiter nach Norden über eine viel befahrene LKW-Strecke. Baustellen, Hitze, Übernachtung mangels campgrounds auf Tankstellen, die sich völlig auf die Bedürfnisse der Trucker eingestellt haben mit Duschen, Mahlzeiten etc. Übernachtung in Brasilien heisst also Truckerleben life. Sprache: die sprechern hier alle portugiesisch, kein spanisch, kein englisch, null. Bis auf eine kleine Verkäuferin im Truckstore on the road, die redet mich auf deutsch an: ihre Mutter, ihre Grossmutter usw usw. Ich verstehe also abolut nichts und muss was dagegen tun: Radio, um die Sprachmelodie ins Ohr zu bekommen, jeden Tag eine Seite Vokabeln und jeden ansprechen, von dem ich weiss, was er antworten wird (Tankstelle, supermercado, Touriinfo). An der Gestik erkenne ich, ob ich richtig liege oder nicht, spannend. Und welche Wohltat, wenn mal jemand ein paar Brocken Spanisch spricht, Spanisch, nicht Englisch.
In Bonito, einer Ecotourismusregion, finde ich auf einem einer Pousada angegliedertem Campground für 4 Tage eine idyllische Bleibe, steige hinunter in unterirdische Höhlen, schnorchele einen Kilometer flussabwärts mit den Doraden um die Wette. Vor Campo Grande häufen sich in einer wunderschönen Bergregion die waldreichen Naturparks, weiter nordwärts wandert der Blick ungehindert über weite Palmensavannen. Ein Gewitter unterbricht die Wärme. Gewitter. Ein Gewitter in den Subtropen erscheint eher bliblisch: nach einem unwirklich weissen Licht wird es stockdunkel und es fällt vom Himmel. So stark, dass ich anhalten muss. Und selbst die Wahnsinnstrucker reduzieren ihre Geschwindigkeit auf die eigentlich vorgeschriebenen 80km/h.

A propos Trucker: das Abenteuerlichste sind die brasilianischen Autofahrer. Dass in einer Rechtskurve vor und auf der Bergkuppe bei durchgängiger Doppellinie ein langer LKW-Zug überholt wird, mit voller Geschwindigkeit, den Kopf vielleicht ein wenig höher und nach links geneigt der besseren Übersicht wegen, daran habe ich mich gewöhnt. Und Bergkuppen mit Rechtskurven gibt es hier viele. Dass aus einer entgegen kommenden dicht auf dicht fahrenden LKW-Schlange ein Truck ausschert und mir auf meiner Fahrbahn entgegenkommt, ist Schreck genug. Ich denke, der will überholen und sich kurz vor mir in eine noch so enge Lücke eindrängeln. Von wegen, der schert nach links aus, auf meinen Seitenstreifen, zischt rechts an mir vorbei und schwenkt mit voller Fahrt in die hinter mir liegende Tankstellenausfahrt ein. Ich krieg ne Krise, wenn ich die Zeit dazu gehabt hätte.

Nach dem Besuch von Chapada, eine Gegirgsregion, die an Utah/USA erinnert, fahre ins Pantanal, dem eigentlichen Ziel meines Südwestbrasilientrips, dem grössten Überschwemmungsgebiet der Erde. Die Brasilianer sprechen das aus wie im Französichen, wunderschön nasaliert: PANTANAL. Am Ende der Trockenzeit sammeln sich hier die Tiere an den verbliebenen Miniwasserstellen und so ist es: an einem Tümpel zähle ich über 100 Krokodile, faul und stinkend. Dafür sind die internationalen Kontakte auf dieser 150 km Piste mit über 100, teils recht zweifelhaften Haolzbrücken, umso erfreulicher.

Das Büchlein KnowHow ist mir eine grosse Hilfe bei Planung und Umsetzung. So weiss ich, dass ich mich und das PM auf dieser Nebenstrecke nach Bolivien – ja, ich schlängele mich weiter nach Nordwesten über Bolivien in Richtung Peru – bereits in Cacares, ca 100km vor der bolivianischen Grenze und das an völlig unterschiedlichen Stellen auschecken muss (dauert 2 Tage). An der braslianisch-bolivianischen Grenze selber sind nämlich nur sehr freundliche Menschen, aber keine Möglichkeit der emigracion bzw. imigracion. In San Matias, 7 km hinter der Grenze das gleiche Spiel: uns, mich und das PM an völlig unterschiedlichen Stellen erneut einchecken: dauert umständehalber weitere zwei Tage, die Bank tauscht nur Dollar gegen Boliviano, Mastercard hier vielleicht in 20 Jahren. Die Übernachtung an der Polizeistation wird mir praktisch aufgezwungen, die Nachtfahrt sei wegen der Raubüberfälle zu gefährlich und die nächsten 220 km Piste bis zur nächsten Polizeistation in San Ignacio nur bei Tage machbar. Viele viele Info-Gespräche mit Truckern, Zoll, Poizei und Einheimischen über Zustand der insgesamt 440 km langen Urwaldpiste. Alles sehr aufregend und spannend. Und vorwärts gerichtet. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr, da will ich durch. Allein diese Beispiel – Grenzformalitäten, Pistenzustand, Gefahren – mag zeigen, dass Südamerika in 3-4 Woche nicht geht. Jedenfalls nicht auf der von mir gewählten Erlebnisfahrt.

Cochabamba. Nach bisher 12 wunderschönen Zwangspausetagen, tollen Bekanntschaften (s. externer Link und Fotos), um 4.000 US Dollar leichter und den guten Rat Ernst nehmend, in Bolivien nie mehr aus einem Hinterhofffass zu tanken, wird mich Alfredo, der Chef der BOSCH autoclinic, in einigen Tagen entlassen, espero: das letzte fehlende Ersatzteil aus Europa ruht immerhin schon beim Zoll in Cochabamba und dort nimmt die bolivianische Bürokratie ihren Lauf … Dann aber geht’s es zurück auf die Strasse: über Oruro zur bolivianischen Hauptstadt Sucre, dann zur welthöchsten Stadt Potosi, weiter zum Salzsee bei Uyuni, schliesslich zum Regierungssitz La Paz und dann nach Cocacobana am Titicacasee- das sind meine Pläne. Vamos a ver, wir wollen mal sehen! Wie oft musste ich im letzten viertel Jahr meine Grobplanung bereits ändern. Südamerika life.

Herzliche Grüße Euer POTR

Highlights bisher: Bananendampfer, 35 Tage mit Stops in Tilbury/London, Dakar u Rio de Janeriro – ARG Buenos Aires, 8 Tage – Tigre Delta – URU Rio de la Plata – Montevideo – Küstenparadies – Punte del Este – Punte de Diabolo – Gauchohinterland – ARG Süsswasserreservoir Esteros del Iberá, 225km Piste – Jesuitenmissionen – Wasserfälle von Iguazu, 3 Tage – BRAS Cataratas diesseits, 2 Tage – Wasserkraftwerk Itaipu –Ecotourismuszentrum Bonito, 4 Tage – Felsenformationen Chapada – Tierparadies Pantanal, Transpantaneira, 150km Piste – BOL Urwald, 440km Piste – Jesuitenmissionen – Aufstieg zum Altiplano über Siberia, 125km Piste – Altiplano – Motorschaden wegen dirty Diesel, Stop in der schönen Dauerfrühlingsstadt Chochabamba, 18 Tage relax – Kolonialstadt Sucre – welthöchste Stadt Potosí, Minenbesichtigung – Salar de Uyuni – Piste nach Huari, Nebenwege mit Materialschaden –

Link zu Wolfgang Leander, dem 70-jährigen Haitaucher, lohnt sich!

-> Fotos: Südwestbrasilien, Bolivien

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