Dakar - Buenos Aires, 09.09.2011

Dakar – Buenos Aires, 22.08. – 09.09.2011

Zwischen Hamburg und London muss ich runter zum Deck 2, um mich mit warmer Kleidung aus den untersten Stauräumen meines PM einzudecken, denn es ist bitterkalt daussen und in meiner Kabine dazu. Und im Windpark an der Themsemündung drehen sich die Windräder hochtourig.

Ganz anders in Dakar
zwischen 34 und 46 Grad zeigt das Thermometer und entsprechend ruhig und gemächlich verläuft das Leben hier, jedenfalls im stadtnahen und engen Cargohafen mit seinen vorsintflutlichen Ladegeräten. Anders die Verkäufer und Taxifahrer, die sind quirlig. Einer überredet mich und fährt mich für 5€ zu einer der Empfehlungen in Dakar, zum IFAN-Museum, einer Sammlung afrikanischer Masken, Musikinstrumente und Kunsthandwerk. Und einer WiFi connection. Hier also, und nicht in irgendeinem zweifelhaften hotspot, kann ich meine emails checken und die Website aktualisieren- alles schattig und angenehm temperiert dazu (ontheroad-experience: geh in eine Bücherei, ein Museum oder eine Hotellounge, dort gibt’s WiFi und saubere Toiletten, but ask friendly!). Der Taxifahrer wartet und fährt mich zum Hafen- natürlich hat er mich gelinkt, ist nichts mit 5€, klar- aber dafür erwische ich noch die Mittagsfähre zur Ìsle de Gorée: von hier, dem afrikanischen Triangelpunkt, wurden die Sklaventransporte nach Mittel- und Südamerika organisiert, und das maison des esclaves zeigt bedrückende Zeugnisse auf. Abgesehen davon ist die Gorée eine wunderschöne Insel mit Gässchen, Blumen, Kunsthandwerk und Kneipen. Trotz intensiver Expositionsprophylaxe erwischen mich 2 Moskitos und ich bin froh, seit gestern Malariamedikamente eingenommen zu haben- bin ich doch im Senegal und damit in einem Malariahochrisikogebiet. Nun muss ich das Malarone für 7 Tage weiter einnehmen- wohl das kleinere Übel.

On the vessel
Acht Tage auf dem Atlantik ohne Möglichkeit einer notfallmässigern Einflussnahme von aussen, ein kribbeliges Gefühl, vor allem wenn man um diese und jene Gefahr weiss. Die Schlechtwetterfront direkt hinter Dakar lässt aber keinen Raum für negative Phantasien. Denn wir haben Windstärke 8 und es schaukelt ordentlich, und der Kahn, der erst 1998 gebaut wurde aber schon ausschaut wie ein Seelenverkäufer, ächzt aus allen Fugen, und gemeinsam mit dem heftigen Wind gerät der Weg über’s Deck hin zur Bridge zu einem sportlichen Ereignis. Von hier oben sehen die Wellen nun gar nicht mehr so mächtig aus, sie haben’s aber ganz schön in sich, und in der Nacht muss ich Vorsorge treffen, nicht aus dem Bett zu rollen (diesbezogen könnte man hier einen recht bekannten Viagrawitz einfügen, tue ich aber nicht).
Nach Wetterberuhigung gehe ich auf Erkundungsgang und inspiziere nach und nach Küche, Vorratslager, Hospital, Rettungsboote und natürlich Bridge und Maschinenraum. Der Rumäne und Weinbauer und Alaskafischer und Chiefdriver George zeigt mir diesen Maschinenraum und führt mich bis in den letzten Winkel dieser ganz anderen Welt, gelegen an der metallenen Grenze zur Tiefe des Atlantiks: sehr, sehr laut und ölig, überdimensional der riesige Motor und ebenso überdimensional die Antriebswelle, massenhaft Maschinen und Werkzeugbänke- hier kann alles repariert werden, alles. Dazu der Kommandostand, viel umfangreicher als der oben auf der Bridge. Imposant. Und neugierig, wie ich bin, inpiziere ich auch die Ladedecks mit ihre wertvollen Fracht an Fahrzeugen und Maschinen. Es braucht einige Zeit, um den Mut aufzubringen, sich unerlaubterweise allein in dieser lauten und derben Welt aus Eisen und Stahl, Öl und Schmier und sehr fremden Gerüchen und vielen, vielen Stolperfallen einigermassen sicher zu bewegen. Hat mir auch einen Rüffel vom Sicherheitsoffizier eingebracht, hat sich aber gelohnt.

Dakar – Rio
Kurs 212 Grad, das ist so ziemlich genau Südwest (für die ganz pingeligen wären das natürlich 235 Grad, aber wir segeln halt 212’), acht Tage ohne Kursänderung. Nach der unspektakulären, stockdunklen, mitternächtlichen Überquerung des Äquators ist eigentlich alles beim Alten. Bis auf den Kater nach der tollen, tags drauf stattfindenden linea zero-Zeremonie und der Sonne natürlich: die steht jetzt mittags im Norden (Osten und Westen bleiben gleich, oder doch nicht??). Und der Mond: er liegt auf dem Rücken und lächelt wie ein smile. Aber nur bei Neumond- sieht echt krass aus.
Die Routine holt mich ganz rasch wieder ein: Schlafen, Essen, dormir la siesta, Lesen, Sport, Entdecken, Dösen. Unterbrochen wird der Tagesablauf durch ein Telfonat zu Phillips 33. Da erfährt mein Satellitentelefon einmal einen erfreulichen und nicht notfallbedingten Einsatz: mitten vom Atlantik aus mit seinen Liebsten sprechen zu können, das hat was…. Ach ja, dies zur Info denen, welche diesen Trip noch vor sich haben: Textmails geringen Umfangs können über die Schiffs-Satelliten-Verbindung abgewickelt werden, kostenfrei.

Glücklichsein
Aufregung: wir nähern uns Rio. Bereits um 5 Uhr bin ich auf dem Deck und geniesse die Dämmerung und den Sonnenaufgang, den Dunst und die milde Wärme, während wir genau wie 1502 die portugiesischen Entdecker in Richtung Westen segeln und steuerbord die sanfte hügelige Landschaft vorbeiziehen lassen. Diese grandiose Schönheit entspannt, macht ruhig und gelassen und führt zu einer Zufriedenheit und einem Glücklichsein. Und diese Reise bietet noch mehr Möglichkeiten, Glück zu erfahren: gestern folgen wir der brasilianischen Küste und gelangen in ein Gebiet, in dem sich jährlich zwischen Juni und September Wale zur Paarung sammeln. Und ich erlebe sie hautnah: die vielen Fontänen beweisen die grosse Zahl (ich zähle bis zu 200 in Fernglasweite), mal zeigt sich der Körper, mal die Flosse in ihrer typischen Art, mal scheint der Körper aus dem Wasser steigen zu wollen. Mal fern, mal nah. So nah, dass der Kapitän vor einem grösseren Rudel?, Schwarm? ein akustisches Warnzeichen gibt und sogar den Kurs kurzfristg ändert (eine unglaubliche Tat!), um den Tieren auszuweichen und sie nicht zu gefährden. Nach 6 Stunden folgen nur noch einige Nachzügler, erkennbar an den fernen Fontainen- vorbei. Ich kann jetzt verstehen, warum Menschen so begeistert das whale-watching beschreiben: die Wale in ihrer Macht, Schönheit, Eleganz und Erhabenheit und Leichtigkeit zu erleben, ist einfach begeisternd.

Rund um Rio
Und dann kommt sie in Sicht, die so bekannte Szene: vorn die klassiche Silhouette des Zuckerhuts, dahinter die Christusstatue auf dem 710m hohen Corcovado, und unten glänzen die weltberühmten Strände Copacabana und Ipanema. Da will ich heute hin, zu Fuss. Leider wird daraus nichts, heute jedenfalls: wir sind zu früh und müssen draussen in der Bucht Anker fallen lassen und mit anderen Schiffen warten, bis in dem kleinen Cargohafen an der grossen Brücke in Rio Entladeplätze frei werden. Ich werde aber fürstlich entlohnt, habe ich doch die gesamte Schönheit dieser Bucht vor Augen, ausgiebig. Anders den Passagieren der vielen Flugzeuge über mir: ihnen bieten sich, wenn überhaupt, nur ein kurzer Augenblick, und schon ist die ganze Szene überflogen, terminado. Welch unbegrenzte Sehzeit eröffnet sich dagegen dem Schiffsreisenden: meine Republica Argentina bietet die Zeit und Ruhe, Rio häppchenweise einzusaugen. All das, was ich gelesen habe, kommt Stück für Stück näher und nimmt Gestalt an. Meine Befürchtung, dass die blumige Fantasie mal wieder der krassen Realität weichen muss, ist grundlos; denn dieses mir wohl bekanntes Reisenegativum kommt hier nicht zum Tragen: bei der allmählichen Annäherung an die Baya de Guanabra übertrumpft die Schönheit der Realität die Bilder der Fantasie.
Chévere sagen die Südamerikaner: prima-dufte-klasse-toll! Ach so, Rio de Janeiro ist für mich keineswegs pasée, lässt es sich doch recht gut auf dem Landweg erreichen…

Drei Stunden hinter Rio erwischt uns erneut eine Schlechtwetterfront mit Regen, Wind von 8 Bf – welch ein Unterschied zu dem gestrigen Traumwetter in Rio! Ich befestige die restlichen Liegestühle – einer ist bereits über Bord gegangen – mit sicheren Seemannsknoten, einem nützlichen Relikt aus der Jollenaera. Auf dem Meer hingegen ist richtig was los: 72 Schiffe zähle ich in Fernglas-Sichtweite. Sie sind entweder auf dem Weg nach Santos, dem grössten Hafen Südamerikas oder liegen hier vor Anker und warten auf Aufträge. Santos, Peles Geburtsstadt und ebenfalls grandios gelegen, ist der letzte Hafen vor Buenos Aires, meinem Ziel. Ich werde kribbelig und beginne mit Vorbereitungen: vier Waschmaschinen muss ich durchlaufen lassen. Marie, die Mutter von 7 Kindern, kennt sich damit aus und hilft mir bei Separation und Bedienung. Aufhängen zum Trocknen und Bügeln muss ich dann selber. Kein Problem bei der mangels Weichspüler sehr harten Wäsche. Und hat mich doch zu hause manch unterweisende Hand bügelfit gemacht.
Die Sonne lacht, aber es windet heftig. Für Margaux, die 11/4 jährige Jungfranzösin ist das Geschaukele ein echter hardcore: sie hat vor kurzem erst laufen gelernt und watschelt mit hocherhobenen Armen über den schlingernden Gang. Aber aufrecht. Während ihre Mutter seekrank das Bett hütet.

Noch nicht an Land, und schon habe ich das erste Abenteuer: ist wohl nichts mit dem Ankunftsdatum 2.9., korigiert auf den 5.9. In der Ausschreibung von Grimaldi steht, dass sich umständehalber alles ändern kann. So auch hier und heute: Tidenbedingt ankern wir gestern in der Mündung des Rio Plata vor Montevideo (Bonbon: Wettereinbruch mit Gewitter vom Feinsten), heute erneuter Ankerfall bei schönster Abenddämmerung 50 sm vor Buenos Aires. Ok, kein Tango heute. Aber jetzt wird auch noch die Route geändert: wir fahren an Buenos Aires vorbei und laufen zunächst Zárate, im Landesinnern am Rio Paraná gelegen, an. Anfänglich enttäuscht über die daraus resultierende Zeitverzögerung möchte ich diesen Umweg nicht missen. Führt er mich doch durch das Tigre-Delta hinauf den Rio Paraná durch eine unglaublich schöne Flusslandschaft zu dem modernen Flusshafen Zárate. Eine Augenweide die Hin- und Rückfahrt.

Und dennoch, es wird Zeit, auszuchecken: nach 35 Tagen lässt der Einfallsreichtum des Kochs allmählich nach, die Pasta reisst mich einfach nicht mehr vom Hocker, und der Tinto auch nicht. Und die französiche Grossfamilie lässt mich zunehmend nicht in die spanische, sondern eben in die französiche Sprache eintauchen: ich kann mich bei diesem Vielerlei an neunköpfigem Sprachgewirr auf der Skala von Bébélalala bis hin zu präpubertären Streitereien, vom Spielen, Lachen und Singen unterbrochen mal von liebevollen Zuwendungen, mal von deutlichen Warnungen der Eltern dieser Sprache einfach nicht entziehen und spreche und denke zunehmend französich. Denn die mühsam zweimal täglich theoretisch erworbenen und aufgefrischten Spanischkenntnisse geraten bei diesem Französich-life klar ins Hintertreffen.

Heute, Donnerstag, 08.09. Morgensonne. Wir ankern seit gestern abend in Sichtweite von Buenos Aires. Schön, die Aussicht, wirklich. Heute nachmittag soll ein Ladeplatz im Hafen frei werden und dann könnte ich auschecken. Heute abend oder morgen früh. Ich benutze extra den Konjunktiv, denn es gibt zu viele Eventualitäten: Tages- oder Nachtzeit der Ankunft, Arbeitsfreude des Zolls, Dauer des Entladens all der Fahrzeuge vor mir …. Vamos a ver.

Quintessenz: ich reise auf einem Cargoschiff. Es ist irre spannend, laut und derb hier. Ohrenstöpsel und rutschfeste Schuhe, Sonnencreme und Schal gehören zur Grundausstattung. Und Parfum: einen Tropfen auf die Oberlippe gegeben mildert die hier und da auftretenden extremen Gerüche auf ihrem Weg Richtung Olfactorius erheblich ab (ausprobiert und für gut befunden bei Übernachtungen in Pilgerherbergen auf dem Jakobweg). Und wer zum sunset oder gar sunrise oder zur Äquatortaufe mit Champagner anstossen will, der muss ihn schon mitbringen. Und noch eins: wenn man aus einer bestimmten, bequemen Liegestuhlstellung den Horizont betrachten möchte, ja, dann stört der obere Handlauf der Reling, aber nur bei ruhigem Wetter. Bei Seegang geht der Horizont sowieso dauernd rauf und runter. Oder die Reling …... Sonst hab ich nichts auszusetzen.

Liebe Grüße Euer POTR y
Bienvenidos al Argentina.

-> Fotos: 2011-08, SÜDAMERIKA. HH - Buenos Aires

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