SÜDAMERIKA I

HH - Dakar, 05. - 21.08.2011

HH – Dakar, 05.08. bis 21.08.2011
Endloser Horizont, Spätnachmittagssonne, leichter Seegang und milde Winde. Gelegentlich kreischt eine schwere Tür in den Angeln. Sonst Stille. Auch der schwere Schiffsmotor tuckert nur leise ganz weit hinten, stetig. Es ist Tag Elf der Überfahrt von Hamburg nach Buenos Aires, eine Drittel der Überfahrt habe ich bereits hinter mir. Zeit, innezuhalten.
Hamburg kenne ich ja ziemlich gut, es von der Elbe aus zu erleben, zumal wie ein Auswanderer in vergangenen Zeiten von einem nach Übersee fahrenden Frachter aus, schlägt alle Rekorde: vorbei an Queen Mary 2, die den Michel fast verdeckt, vorüber an der neuen Elbphilharmonie, vorbei an dem Hotel Hafen Hamburg mit seinen tollen zur Elbe hin gelegenen Zimmern und seinem mir wohl bekannten happy hour-Turm, vorbei an Altona, dem Fischmarkt, den neuen Cafés und Geschäftshäusern, vorbei an den Bistros des Elbstrands und an Blankenese mit seinen stromwärts gelegenen Wahnsinnsvillen, vorbei an den Werft- und Dock- und Cargoanlagen bis hin zum AKW Brunsbüttel, das in der untergehenden Sonne ganz unschuldig scheint. Hamburg elbseitig: eine Riesenerlebnis.
Nach drei Tagen erreichen wir Tilbury an der Themse. Mit dem Zug geht’s rein in die City von London: ein Fussmarsch führt mich bei herrlichem Sonnenschein vom Tower bis hin zur St. Paul’s Cathedral, während des mittäglichen obligatorischen Regengusses wird in einem Irish Pub ein ausgesprochen leckeres Bier kredenzt, mit einem Touribus geht’s dann drei Stunden kreuz und quer durch die Innenstadt, bis der Zug mich wieder zurück zur Cargostadt Tilbury und zurück zu meiner Kabine auf der Republica Argentina bringt. Herz, was willst du mehr?
In Antwerpen liegt der Cargohafen weit ausserhalb, so dass bei fehlenden Nahverkehrsmitteln eine Besichtigung leider leider nicht möglich ist. So schlimm auch wieder nicht. So sind Antwerpen und Le Havre (Regen) auch bestens von daheim aus über den Landweg zu erreichen. Die Fahrt durch den Ärmelkanal wird als Folge seiner Enge und dem dadurch bedingten hohen Schifssaufkommen zu einem neuerlichen Erlebnis. Leider darf ich zu der Zeit noch nicht auf die Brücke, aber ab heute: der grosse ferne Atlantik liegt vor uns und lässt den Offizieren Zeit, sich meinen Fragen zu stellen. Nicht nur das, Mannschaft und Reisende nehmen aktiv an einer Feueralarmübung mit Verletzen und schliessendlicher Evakuierung in die Rettungsboote teil. Spannend.
Die Cargohäfen sind faszinierend. In Antwerpen und Le Havre ist die Zufahrt wegen der Tiden nur über Schleusen möglich. Hier leistet der Pilot Zentimeterarbeit. In den Häfen werden mit hochmodernen Mitteln in einer Wahnsinngeschwindigkeit hunderte von Containern und locker tausend Fahrzeuge jeglicher Grösse, Breite und Schwere umgeschlagen.
Alles wuselt durcheinander: auf dem offenen Oberdeck landen mit einer Schaukel Gebrauchtwagen mit dem Ziel Dakar, wobei die Fahrer ausgesprochen robust mir den Fahrzeugen umgehen: springt ein Wagen zB nicht mehr an, wird es von einem funktionstüchtigen aufs Korn genommen, mit Karacho nach vorn getrieben- Stossstange an Stosstange, und manchmal eben auch nicht: dann landet die Stossstange eben in den Weichteilen der Karosserie mit entsprechenden Schäden. Weiter hinten kracht ein Container auf den anderen, passt er, wird er mit einer Hebeldrehung fixiert, einer über dem anderen, zig Etagen. In den Decks 4-7 stehen nagelneue PKW aller Marken eng an eng, fest verzurrt und gechützt vor Sturm, aber Stolperfallen auf dem verworrenen Weg zu meinem PM. Einladen, Ausladen, ein ewiger Kreislauf. En Fahrerkommando besteht aus 5 Männern, welche die Neufahrzeuge mit einem Affenzahn (sorry) durch die Schiffsdecks jagen; dann rast die Fahrertruppe in einem PKW zurück zum Zwischenlager auf dem Cargogelände und die Jagd beginnt von vorn. Hin und her geht das so, Tag und Nacht : immer fünf hintereinander, bis die Tausend oder Zweitausend erfüllt sind.
Am spannendsten geht es in den Decks 2-4 zu, dort finden LKWs, Busse, Kräne, Bagger, Raupen, Feuerwehrfahrzeuge, Ernte- und Strassenbaumaschinen jeglicher Grösse ihren Platz, dazu tolle Motoroote und mein PM, das sich ausgenommen mickerig neben all den Riesenviechern ausmacht. Und natürlich herrscht auch hier keine Stillstand: Einladen, Ausladen, Verschieben, Verzurren- wer behält da bloss die Übersicht?? Allein der Gedanke an die richtige Reihenfolge des zu stapelnden und ladenden Materials bereitet mir Magenschmerzen. All dies funktioniert nur mit hochmodernem moving-Material und ebenso hoch motiviertem Cargopersonal.
Zwei Sätze zum Schiff: die Republica Argentia ist ein Cargoschiff mit ca. 30 Mann Besatzung, ist gut 200m lang und 30m breit, fährt mit 16.5 Knoten, das sind ca. 30km/h und gut 700km pro Tag und verbraucht in diesem Spargang locker 44.000 Ltr/24h. Bordsprache ist grauenhaftes italienisches Englisch. Ich wohne im 8. Stock in einer recht grossen Aussenkabine mit toller Sicht, Service inklusive. Ausschlafen ist angesagt: bis um 09.00 gibt es Frühstück, bereits m 12 Uhr, und zwar Punkt zwölf-null-null Lunch (El capitano wird akustisch avisiert und alles steht stramm, auch ich gebe ihm die Ehre) und um 18.00 Dinner- jeweils mehrere Gänge mit Antipasti, Pasta, Fisch, Fleisch, Obst, Wasser, Wein und Kaffee. Recht lecker, aber Salat und Gemüse sind absolute Mangelware. Cave la figura! Ich wehre mich mit möglichst kleinen Portionen, gelegentlicher Weinabstinenz und täglicher Gymnastik an Deck.

Ich reise also auf einem Cargoschiff, dem legendären Bananendampfer, und Grimaldi ist konkurenzlos die einzige Linie, die ein Mitreiseangebot offeriert. Entweder als einfache Frachtsschiffreise von A nach B oder eben als sein Fahrzeug begleitender Reisegast. Acht Gäste können auf der RA mitreisen, und ich war natürlich sehr gespannt auf meine neuen Bekanntschaften. Tja, das ist so ein Ding: in Hamburg begrüssen mich Antoine (38), seine Frau Carine (30) und ihre beiden Kinder Zoé (8) und Mahout (3) aus Lyon, mich als einzigen neuen Gast. Diese vier sind seit 13 Monaten unterwegs: mit Rad und Zelt von Lyon nach Barcelona, Flug nach Quito, dann Südamerika: er mit bike und Trailer für das kleine anfänglich noch nicht trockene 21/2-jährige Mädchen, sie mit Tandemrad für sich und die Grosse, vollgepackt mit allem Notwendigen. Sie sind nicht nur die 12.000km bis Buenos Aires geradelt sondern haben Bolivien zwei Monate lang in einer Höhe von 4.000m durchquert. Mit Rädern und Zelt. Tag für Tag. Beide Lehrer, hatten sich ein Sabatico genommen und diese Rrise nicht nur geplant sondern sehr zum Schrecken ihrer Eltern tatsächlich durchgeführt. Für die Rückfahrt haben sie sich nun diese Schiffsreise von Buenos Aires über Hamburg nach Le Havre gegönnt, sind hier ausgeschifft und natürlich mit dem Rad weiter in die Heimatstadt Lyon gefahren. Bei strömendem Regen. Kommunikation: französisches Englisch, na ja.
Die vier checken aus, acht Neue checken ein: wieder Franzosen aus Toulon. Unterwegs mit ihrem Car du camping. Navyoffizier Benoìt (36), Ehefrau Marie (30) mit Rémi (12), Armelle (11), Martin (10), Guillaume (8), Blanche (5), Solène (3), und Margaux (1)- richtig gezählt: mit sieben Kindern sind sie unterwegs und belegen die restlichen 4 Passagierkabinen. Ziel: Buenos Aires, dann weiter für 1 Jahr mit ihrem Wohnmobil durch Südamerika. Schulunterricht: sie haben den Stoff für 1 Jahr dabei und müssen zwischendurch die Aufgaben und Klassenarbeiten zur Korrekur nach Frankreich schicken. Versuch der Kommunikation: noch schlechteres französiches Englisch, ich krame mein Schul- und Reisefranzösich wieder raus.
So, mein Kommentar zu den Reiseplänen und -taten der beiden französichen Familien: manche zu hause behaupten, ich, Peter M., sei ein wenig unruhig ….
Komme eben vom Deck, habe kurz vor Sonnenuntergang den ersten Wal gesehen. Er bläst…. Wahnsinn. Vor Brasilien soll sich das häufen.

In 2 Tagen erreichen wir Dakar, dort hoffe ich, einen hot spot zu finden, um e-mails checken und diese erste historieta auf meine website setzen zu können.
Die Reise verläuft ruhig: bei Windstärke 4 und stetigem Rückenwind spüre ich nur ein sehr sanftes und angenehmes Schaukeln. Der Tag wird durch Schlaf- und Essenszeiten strukturiert (Essen s.o., Schlafen von 22.00 bis 08.00, ja so eine Reise ist anstrengend). Zwischendurch gibt es natürlich massig zu tun: Spanischkurs morgens, Siesta, Spanischkurs nachmittags, Literatur über Argentinien, Routenplanung, Deckgymnastik und immer wieder Horizont beobachten, und nachts die Sterne. Land in Sicht: wir segeln an den Ostküsten von Lanzarote und Fuerte vorbei, ich beobachte Inseln und Lichter aus der Ferne und habe sogar Netzverbindung, die intensiv ausgenutzt wird. Habe ja sonst keine Ausgaben…
Zurück auf’s Deck: Liegestuhl, 28 Grad, Spanischkursus, Horizont beobachten, träumen. LG potr

-> Fotos: 2011-08, SÜDAMERIKA. HH - Buenos Aires

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