Die letzten 24 Stunden auf NFL

Die letzten 24 Stunden auf Neufundland

Gestern abend fand ich diesen idyllischen an der Halls Bay in der Nähe von Southbrook gelegenen Campingplatz. Sign: closed for season, use at own risk. Das own risk wurde vom Hinweis zur Realität, als ich mit der Hinterachse in der steilen teils aufgetauten, teils restgefrorenen Abfahrt einfach wegsackte. Dem Allrad sei Dank. Dennoch gab es einige unruhige Nachtgedanken über die Überwindung dieser Sabberstrecke bergauf am nächsten Morgen.

Vogelgezwitscher weckt mich früh und die Sonne zeigt auf dem ruhigen See ihr glitzendes Spiel. Die Vögel tauchen schon nach Fischen und ein Seehund schwimmt langsam mit über der Wasseroberfläche schwebendem Kopf. Als er mich entdeckt, taucht zuerst der Kopf ab, dann rollt der Rücken langsam hinterher. Und tschüss.

Aufwachen, Bettenbauen, Bad, Aufräumen, Frühstück zubereiten, Abwasch, Lesen, Streckenplanung, das alles läuft routiniert innerhalb von einer Stunde ab und ist nicht neufundlandspezifisch aber unabdingbar.
Ach ja, die Sabberstrecke von gestern abend wird bei wohl überlegter Streckenführung und Gangwahl problemlos überwunden.

07.30 auf dem TCH, dem Trans Canada Highway: wer hat denn in dieser Einsamkeit ein so realistisches Caution-sign aufgebaut? Und da bewegt sich dieser Elch, langsam, dann im mässigen Gallop zurück in den Busch. Imposant, gross und schwer, elegant in der Bewegung. 660 Zusammenstösse zwischen Autofahrern und Elchen gab es im Jahr 2009 in Canada, und die Warnungen vor den Folgen eines solchen Aufeinandertreffens werden sehr realistisch dargestellt.

Der TCH wird auf Dauer eintönig und ich mache einen Loop über die Halbinsel Port au Port, einer französischen Enklave mit traditioneller Lebensführung. Hier erwischt mich ein Wetterumschwung mit stürmigen Böen und Regenschauern. Das PM schaukelt wir ein Boot auf den Wellen und ich halte mühsam Kurs auf der neu gebauten Strecke hoch zu Cliff. Mandy-Pam, meine GPS-Holde, verliert die Bodenhaftung und will mich wiederholt ins brausende Meer schicken. Als sie auf den Boden der Tatsachen zurückfindet, darf sie mich mit ihrer sagenhaften Stimme und ihrem unnachahmigem U-turn, when possible wieder betören.

Ein unangenehmes, wohlbekanntes Geräusch und blau-rotes Rundumlicht zwingen mich rechts ran. Scheibe runter, Hände an das Lenkrad, Lächeln. Ich hätte nichts falsch gemacht, so die junge Officerin, aber dieses Nummernschild, das habe sie noch nie gesehen. Plausch hin, Plausch her, ich lade sie in meine Wohnkabine ein schon steht sie da in ihrer hübschen Uniform mit Sprechfunk und Colt und Handschellen und schaut sich wohlwollend meinen Wohnbereich an… Die driver’s licence überprüft sie dann pro forma.

Ich habe noch kein Ticket für die Nachtfähre, reservation required. Mit der toll free-number in der Tasche gehe ich in der nächsten Stadt in die Reception des Holiday Inn, ich sei der und der, hätte dies und jenes problem und wüsste nicht, von wo aus ich telefonierem könne, bei der Post geht’s nicht, ob ich vielleicht … Sie lächelt, die Receptionistin, of course, no problem und beim nächsten Mal düfte ich gern wiederkommen. Die Freundlichkeit der Kanadier ist unbeschreiblich. Als ich das Maurice, der mir einen excellenten Reisetip gibt, bescheinige, meint er trocken: you are too crowded.

Die Fähre geht erst kurz vor Mitternacht, ich habe reichlich Zeit und nutze die zu einem neuerlichen Loop nach Codroy. Genuss über Genuss, die herben Landschaften im klaren Licht lassen Raum für Phantasien. So bin ich dann an der Tankstelle, die durch nichts darauf aufmerksam machte, dass sie die letzte vor dem 200km entfernt liegenden Fährhafen sei, locker vorbeigerauscht und harre nun jeden Kilometer dringlicher auf eine Dieselnachfüllmöglichkeit. Null. Also rechts ran, Resevekanister raus, 20 Ltr nachfüllen. So habe ich mir meinen ersten Diesel-Notfall nicht vorgestellt, leerer Tank auf dem TCH. Steht auch im Freiseführer: lass keine Tankstelle aus, auch wenn der Tank noch halbvoll ist. In Fährhafens Tankstelle kann ich dann 115 Ltr einfüllen.

Die Reservierung hat geklappt, ich erhalte mein Ticket mit einer Schlafgelegenheit im dormitory – cabisn are booked out – dormitory, was ist das? Muss durch die agricultural controll, ob ich Kartoffeln dabei habe oder plants- no, sollen sie doch suchen, die potatoes und werde freundlich weitergewunken. Drei Stunden warten, was tun? Bratkartoffeln bruzzeln mit Spiegelei und Salat, dann sind sie weg, die Kartoffeln und die plants ind die eggs… und warten und Bier trinken und lesen und warten. Um mich herum die Riesentrucks mit Riesenlärm. Und die Normalreisenden mit ihren PKW, da geht manch neidvoller Blick zu meinem warm erleuchteten PM mit Küche, Bett und Dusche.

Kurz vor Mitternacht geht’s aufs Schiff und dann lerne ich mein dormitory kennen, einen Schlafsaal mit Stockbetten, von denen jeweils 4 durch eine halbhohe Wand halbwegs räumlich abgetrennt sind. Das kann ja heiter werden, keine Ohrenstöpsel, wie soll ich da schlafen? Kopfkissen und Wolldecke sind der einzige Luxus. Also in voller Montur rein in die Koje, meine nicht benötigte Schlafanzugsjacke wickele ich so um den Kopf, dass Ohren und Augen bedeckt sind und… falle in tiefen Schlaf, verstärkt durch das ferne Motorengeräusch und das sanfte Schwanken der Riesenfähre.

Eine furchtbare Lautsprecherstimme lsäst mich morgens um 6 Uhr aus der Koje katapultieren, rasch in den Sanbereich und dann zum Frühstücksbuffet vorbei an den furchtbaren Würsten und anderen fettigen Unmöglichkeiten hin zum Kaffee und Muffin und ab in den Salon Backbordseite: hier geht die Sonne auf und taucht das Meer in wunderschönes wechselndes Rot…. Wie war das noch gestern morgen in der Halls Bay?

24 Stunden in Neufundland, die letzten. Angefüllt, ereignis- und erlebnisreich für Körper und Geist. Das macht den Reiz des Reisens, diese hautnahe Erleben, das Gestalten, das Mittendrinsein. der Sonnenaufgang life, der Salzgeschmack auf den Lippen und die Freiheit. All das können eine noch so gute Wort- oder Bilderbeschreibung oder eine Filmreportage nicht bieten. Ich bin dankbar für jedsolchen Tag on the road.

PS: eigentlich wollte ich ja den Trans-Canada Highway fahren, but many of the fine sights require detours off the highway. Und dem bin ich gefolgt und habe die Gaspé umrundet und heute (11.04.2010) den St. Lawrence River überquert, um an dessen Nordufer noch mal einige 100 miles ostwärts zu reisen. Es gibt so vile zu sehen abseits des TCH …